Vor sieben Jahren, ich
war gerade ganz neu in Australien angekommen, habe ich in einem Anflug von
akuter Verzweiflung spontan einen Brief der Insel an den Rest der Welt
gerichtet, verfasst und per Email an meine Freunde und Familie gesandt.
Vielleicht war es ein Hilferuf, vielleicht wollte ich auch einfach mal nur Luft
ablassen ... alle meinten ich übertreibe maßlos, solle mich nicht so anstellen,
und mich lieber freuen, dass ich so etwas erleben darf, Australien ist genial.
Die hatten alle sehr gut reden, ich fragte mich damals, wie sie es überhaupt
wissen konnten, war doch nicht einer von ihnen zumindest im Urlaub in
Australien gewesen.
Sie hatten trotz alledem
recht, heute bin ich wirklich froh, den Wahnsinn erlebt haben zu dürfen, doch:
Wenn ich meine uralte E-Mail lese, stimme ich allen Inhalten noch immer zu,
wenn nicht sogar noch mehr als vor sieben Jahren. Ich bin nicht der einzige
Schnellblicker, Gespräche mit anderen Immigranten drehen sich immer wieder um die
gleichen Themen.
Liebe Welt!
Wollen sie auch raus aus dem Trott? Australien bietet
einfach alles, was sie sich schon immer erträumt haben:
- Überdimensional hohe Mietpreise.
- Mindestmietzeiten. Unsere Gesetze erschweren es, vorzeitig
aus den Verträgen herauszukommen. So wenig Flexibilität wie möglich ist
angesagt. Binden sie sich für ein Jahr.
- Gut gelüftete Räume. Das muss kein Traum bleiben.
Wir verzichten hier in den Gebäuden völlig auf Isolierverglasung.
Bauglas ermöglicht eine stete Frischluftzufuhr. Kein lästiges Lüften
mehr.
- Im Haus ist es garantiert kälter als draußen.
- Hoher Erdgasverbrauch.
- Ständig kalte Hände und Füße im Haus. Hier vermummt
sich jeder gerne in Fleece-Kleidung, wenn er daheim ist. Australien im
Winter: wrap up warm.
- Eiskalte Badezimmer. Sie werden auf gar keinen
Fall länger ein Weichei sein. Im Winter in einem ungeheizten Raum zu
duschen macht hart. Wer braucht schon eine Heizung?
- Als Ausgleich für das Frieren im Winter, werden im
Sommer die Innenräume dafür umso unerträglich heiß.
- Lebensmittel die mehrere Monate frisch bleiben
(aufgrund von chemischen Konservierungsstoffen die hier einfach in
keinem guten Gericht fehlen dürfen).
- Obst und Gemüse, das auch nach mehreren Wochen
noch frisch aussieht, den Sprüh-Konservierungsstoffen sei Dank.
- Das ganz große Gefühl von Freiheit, welches sich
einstellt, wenn sie auf einem menschenleeren Highway oder Freeway nicht
mehr als 90 km/h fahren dürfen.
- Bei uns gibt es immer was zu lachen. Sie können es
jeden Tag live erleben. Neben ihnen auf der Bahn fahren ein 7er BMW, ein
Porsche und ein Ferrari mit 90 km/h.
- Unbegrenztes Shopping-Erlebnis. Die Geschäfte sind
täglich bis 17 Uhr geöffnet.
- Lebensmittel die so teuer sind, dass man sich
vorher ganz genau überlegt was man kauft. Keine Verschwendung mehr.
- Produkte sind meistens „100 % Australian Made“ (deshalb
haben sie hier die Gelegenheit viele Dinge im 80er Jahre Look zu
bekommen, die in Europa gar nicht mehr zu finden sind).
- Fernsehmoderatoren im 80er Look.
- Bei uns wird niemand mit Welt-Nachrichten belästigt.
Nach einigen Wochen Aufenthalt werden sie beginnen die Welt „da draußen“
zu vergessen.
- Australien gehört den Australiern, ist klar.
Erwähnen sie uns gegenüber bloß nicht das Wort Rassismus oder fangen sie
an von den Ureinwohnern zu schnacken.
- Bei uns können sie auf ein breites Angebot
zurückgreifen, und fast nahezu alle erhältlichen Kleidungsstücke sind
aus 100 % Polyester.
- Niedriges Lohn-Niveau, wir beuten die Leute garantiert
aus. Frei nach dem Motto: Dein Wissen für wenig Geld.
- Aufgrund unseres spärlich ausgebauten öffentlichen
Nahverkehrsnetzes werden sie fast immer einen Wagen nehmen müssen, um
überhaupt mal irgendwo anzukommen. Um alles noch unangenehmer zu machen,
erheben wir dafür aber hohe Parkgebühren und das in jeder noch so
kleinen Straße und in fast jedem Vorort.
- Wir haben ein festgezurrtes Überwachungssystem.
Wir stellen sicher, dass sich jeder Bürger durch das System geborgen
fühlt. Wir stellen Gesetze auf, die sie nicht zu hinterfragen brauchen.
Lassen sie sich einfach fallen.
- Bei uns können sie wirklich entspannen. Hier
passiert einfach gar nichts. Das ist garantiert. Die riesige Entfernung
zu jeglicher zivilisierten Welt, verhindert dem Zeitgeist auf der Spur
zu bleiben.
- Die Zeitverschiebung erschwert den Kontakt zu
Europa. Dort ist doch sowieso alles viel zu schnell.
- Ein Leben inmitten einer sagenhaften Tierwelt. Neben
vielen anderen einzigartigen Kreaturen auch Kakerlaken und Spinnen.
- Auch für schwerhöhrige ist dies der richtige Ort. In
Unterhaltungen wird immer laut gebrüllt. Garantiert können sie somit immer
alle Blicke auf sich ziehen.
- Innerhalb einiger Stunden sind sie schon in die
Nachbarstadt geflogen. Mit dem Auto oder Zug dauert es auch nur einige Tage.
Bei uns kann man alles Genießen, wir reisen und rasen nicht.
- Hier redet man gerne lange um den heißen Brei
herum. Lange Gespräche führen oft zu keinem Ergebnis.
- Australiens Städte sind berühmt für ihre
versteckten Schönheiten. Diese sind so versteckt das Ihnen nie
langweilig werden wird, weil sie immer nach ihnen suchen werden.
Wir freuen uns schon heute, sie in einem der merkwürdigsten Länder
der Welt begrüßen zu dürfen und garantieren ihnen, dass sie nach einiger
Zeit, bei dem Versuch uns zu verstehen anfangen auf einen absoluten Tiefpunkt
zuzusteuern. Sollten sie noch Fragen haben, zögern sie bitte nicht uns
anzurufen oder zu schreiben. Wir bemühen uns, alle Anfragen innerhalb der
nächsten fünf Jahre zu beantworten. Kein Stress.
Mit freundlichen Grüßen und für immer
ihre Insel Australien
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Was meint Ihr? Was gehört noch in den Brief? Findet Ihr
die Argumente so schlagkräftig, dass Ihr jetzt und sofort hinziehen wollt?
Wohnt Ihr auch auf der Insel und empfindet es gar nicht so? Wart Ihr schon
einmal im Urlaub in Oztralien und seid erstaunt, wie wenig man dabei vom Alltag
im Land der Kängurus mitbekommt? Ich freue mich auf alle Antworten.
Schöne Grüße!
Huhu Dorothée,
ReplyDeleteich habe bei jedem einzelnen Punkt heftigst genickt!
Kann man auch heute noch so unterschreiben.
Ergänzen? Vielleicht...
30. Ihre Stromrechnung wird ins Unermessliche steigen, da sie die Klimaanlage im Sommer zum Kühlen und im Winter zum Heizen verwenden werden.
31. Eine "Gourmet-Küche für den Chef" in den Immobilenanzeigen heißt übersetzt: "freistehender 90 cm Gasherd + übergroßer Ausschnitt für die Kühl-Gefrierkombi" - wer braucht schon Arbeitsfläche oder gar Stauraum?
32. Eine "Entertainers Küche" bedeutet, dass man aufgrund einer Miniküche besser auf dem überdimensionierten BBQ kochen sollte...
33. Den Teil des Gehirnes, der sich "gesunder Menschenverstand" bzw. "logisches Denken" nennt, können sie getrost bei der Einreise an der Grenze abgeben. Wir kümmern uns um alles.
34. Das Leben der Hausfrau ist sehr abenteuerlich und abwechslungsreich. Zum Fenster putzen dürfen sie die Fenster komplett auseinandernehmen - es empfiehlt sich 1-2 starke Männer bei dieser Aktion im Haus zu haben. Notfalls können bestimmt gerne Nachbarn einspringen. Sollte man Fenster im ersten Stock haben, ist das Putzen nur unter Lebensgefahr möglich.
Mir fällt bestimmt noch mehr ein ;-)
Beste Grüße
justme
Punkt 34 ist so wahr! Da hat meine Mutter immer so geflucht :D
DeleteLG
Grandios! Vielen Danke für diesen amüsanten und leider ziemlich akkuraten Brief an die Welt :). Beim nächsten "Warum wollt ihr nicht verstehen, dass wir nicht im Paradis leben?!"-Ausbruch auf Kommentare wie "Nein, also das du dich jetzt auch noch beschweren willst, ihr habt es dort drüben doch so gut!" werde ich den Brief gleich mit verteilen.
ReplyDeleteMeine Persönliche No. 30:
- Entfliehen sie dem täglichen Arbeitsstress. Hier tut nur jeder soviel wie er gerade für gut empfindet. Deadline? Noch nie gehört! Mein Kollege braucht dringend ein Dokument von mir? Dem geb ich zum Lunch gleich mal ein Bier oder zwei aus und dann hat sich das schon irgendwie erledigt! No worries mate, vielleicht morgen mal.
Cheers,
kolabär
Alle, die irgendeine Uniform oder Arbeitsanzug tragen, sind wichtiger als andere - nur die Leute mit Sonnenbrille sind noch n bischen wichtiger...
ReplyDeleteGrundsätzlich ist jeder seinem Job wichtig - und der Job an sich auch! Auch wenn es in anderen Ländern schon Baustellenampeln gibt ;-)
Die Autos werden härter, tiefer breiter, lauter getunt, das schneller bleibt dabei auf der Strecke.
Wer hat es noch nicht erlebt, dass hinter einem der Motor aufbrüllt, mit einem vernehmlichen pschhhh der Gang gewechselt wird und das Auto im Schritttempo an einem vorbeirollt?
Generell und überhaupt wird alles reguliert und mit Gesetzen versehen, die dann von allen akzeptiert werden. Hinterfragen braucht man ja nicht...
Das sind so die Punkte, die mir noch dazu einfallen :-)
Viele Grüße aus Neuseeland,
Willi
Hi justme
ReplyDeleteDu scheinst ja auch echt Spass zu haben ;-) Jede Erfahrung bringt uns ein Stueck weiter. Manchmal frage ich mich allerdings wohin?
Schöne Grüße!
Hi kolabar
ReplyDeleteDanke, freut mich sehr.
Bier trinken gehen und schon geht alles weiter ist ein sehr guter Punkt, stimme Dir voll zu ....
Schöne Grüße!
Hi Willi,
ReplyDeleteDanke für Deinen Kommentar. Mensch, Du sprichst mir aus der Seele :-) Absolut so genau empfinde ich es auch. Aufbrüllende Motoren von tiefergelegten Autos, viele Sonnenbrillen und Polyesteranzüge, in denen superwichtige Menschen stecken ;-)
Schöne Grüße!
Hallo Dorothée!
ReplyDeleteVor sieben Jahren, das war so ungefähr der Zeitpunkt, an dem auch mein australisches Leben begann. Am Anfang war alles neu und spannend, nur die Öffnungszeiten der Geschäfte fand ich auch ganz enorm!
Miete und Vertragsdauer derselben können wir uns nicht besser wünschen, doch dafür können Punkte drei bis acht auf deiner Liste in unserem Fall doppelt bis zehnfach bewertet werden. Der Kommentar meiner Freundin in Deutschland, als sie ein Foto sah, welches meinen Mann und mich beim Abendessen mit Wollmützen vor dem Kamin zeigte, lautete, dass wir ja eine komische Mode hier hätten.
Ja, die Mode ist komisch hier, (well,especially in SA ;) und wenn ich dann mal in der Stadt bin, tun mir die Büroarbeiter in den absolut uniform geschnittenen, schlecht sitzenden Anzughosen sehr, naja -leid! (Punkte 15,19)
Was für ein Glück, dass wir Lee Lin Chin haben(16)! -Womit wir bei den Nachrichten (17 und 23) wären. Inzwischen ist das bei uns so, dass ich mir einen deutschen Nachrichten-Podcast runterlade, und dann, mit Kopfhörern auf den Ohren meinem Mann (spricht nur Englisch, australisch sozialisiert) mit meiner Verdolmetschung der deutschen Weltnachrichten regelmäßig die Augen vor Erstaunen aus dem Kopf kullern lasse.
Punkte 20 und 14 sind bei mir miteinander verknüpft, und die Konservierungsstoffe, boah, warum ist das eigentlich so!? Das hat sich bei mir aber eigentlich als hilfreich in meiner Entwicklung ;) heraus gestellt, mein Umgang mit Lebensmitteln und Geld hat sich sehr zum positiven gewandelt, und "food products" kommen kaum mehr in den Einkaufswagen. -Nein, warte, ich meinte EinkaufsKORB, denn mein Budget reicht nicht dazu aus, einen ganzen Wagen zu füllen!
Punkte 12, 18, 21, 24 so gerne würde ich dazu auch schreiben, aber das sprengt den Raum eines Blog-Kommentars doch dann bei Weitem...
Ich empfinde vieles so wie du, zusätzlich finde ich, dass die Politik, besonders das Zwei-Parteien-System und die Kappeleien zwischen Regierung und Opposition absolut frustrierend, oder vielleicht besser: unterhaltsam sind. Sollte man doch auf die hellere Seite des Lebens schauen. Oder? Bin ich doch auch glücklich darüber, den Wahnsinn erleben zu dürfen.
Viele Grüße von Andrea
Haha, super Post!
ReplyDeleteHätte noch zuzufügen: Internet kostet so viel wie woanders in den 90ern und ist nur halb so schnell!
Hallo Dorothee,
ReplyDeleteich habe laut herausgelacht, als ich das gelesen habe! Klingt ganz wie die Klagen meiner Tochter in Sydney! Auch dass alle Verwandten in Europa den Kopf schütteln und definitiv meinen, sie übertreibe maßlos...
Humor ist, wenn man trotzdem lacht (und das macht ihr ja meistens)!
Ganz liebe Grüße aus dem tief verschneiten Österreich!
Hi Andrea
ReplyDeleteDanke fuer Deinen Kommentar. Immi in Australien, man hat doch immer eine richtig lustige Zeit, oder? Deine Meinung zu 12, 18, 24 wuerde mich doch brennend interessieren.
Auf die Lee Lin Chin lasse auch ich nichts kommen. Sie ist und bleibt stilsicher :-)
Schöne Grüße!
Hi Tobias
ReplyDeleteDanke fuer Deinen Kommentar.
Internet in den 90ern? Das erinnert mich an: duedeldieeeeepdieepdueed (mein Modem).
Teuer finde ich den Internetanschluss in Australien nicht, aber so langsam wie "damals" mit einem Modem ist er ...
Schöne Grüße!
Hallo mAmA,
ReplyDeleteach, jetzt weiss ich auch wer Sie sind (brauchte einige Zeit).
Zu lachen hat man wirklich immer genug, wenn man in Australien lebt. Und wirklich nichts ist übertrieben ...
Schöne Grüße!
Hallo Dorothee,
ReplyDeleteich musste wirklich laut lachen als ich die Punkte gelesen habe. Ich selbst habe 5 Jahre in Australien gelebt und kann daher den Punkten nur zustimmen. Bei der nächsten "Warum bist du nicht im Paradies geblieben?"- Frage werde ich denen den Link zukommen lassen und klar machen das in einem Land Urlaub machen nicht gleich Wohnen ist.
Liebe Gruüße!
Sarah